Die allogene (körperfremde) Stammzelltransplantation ist eine Möglichkeit zur Behandlung von bösartigen Bluterkrankungen. Als eines von vier Zentren für allogene Stammzelltransplantation für Erwachsene in Österreich begleiten wir Sie durch diese sehr komplexe Behandlung.
Aktuelles
Allogene Stammzelltransplantation: Häufig gestellte Fragen
Was sind Stammzellen?
Das Blut enthält verschiedene Blutzellen mit unterschiedlichen Aufgaben für den Körper. Die roten Blutzellen (Erythrozyten) sind für den Transport von Sauerstoff notwendig, die weißen Blutzellen (Leukozyten) helfen bei der Abwehr von Infektionen und die Blutplättchen (Thrombozyten) verhindern Blutungen. Da die Blutzellen eine begrenzte Lebensdauer aufweisen (je nach Blutzelle 7 bis 130 Tage), ist eine ständige Neubildung erforderlich. Die Neubildung der Blutzellen findet im Innern der großen Knochen des Körpers (Becken, Wirbelkörper,…) statt, dem sogenannten Knochenmark. Die Neubildung des Blutes erfolgt durch die sogenannten Blutstammzellen. Durch Teilung und Ausreifung dieser Stammzellen entstehen die verschiedenen Blutzellen. Sobald die Blutzellen entsprechend ausgereift sind, verlassen sie das Knochenmark und gelangen in den Blutkreislauf.
Wie gewinnt man Stammzellen?
Für eine Stammzelltransplantation ist es erforderlich, ausreichend Blutstammzellen zu gewinnen, die auf den Patienten (= Empfänger) übertragen werden können. Stammzellen kann man gewinnen aus:
1. Knochenmark
Stammzellen werden aus dem Knochenmark (Beckenknochen) eines passenden Spenders entnommen. Dies kann ein Geschwisterspender oder ein nicht verwandter Spender („Fremdspender“) sein. Die Testung, ob ein Geschwister oder Fremdspender passend ist, erfolgt durch eine Blutuntersuchung. Aktuell sind weltweit mehr als 10 Millionen freiwillige Spender erfasst. Für die Entnahme der Knochenmark-Stammzellen ist eine Narkose für den Spender notwendig.
2. Blut
Alternativ ist es möglich, die Stammzellen aus dem Blut eines passenden Geschwisterspenders oder eines nicht verwandten Spenders („Fremdspender“) zu sammeln. Da Stammzellen das Knochenmark normalerweise nicht verlassen, kommen sie im Blut nur in geringer Menge vor. Daher ist es notwendig, die Stammzellen aus dem Knochenmark herauszulocken („mobilisieren“). Dies geschieht mit Hilfe eines körpereigenen, hormonähnlichen Stoffes (Wachstumsfaktor G-CSF), der dem Spender über einige Tage verabreicht wird. Die aus dem Blut gesammelten Stammzellen nennt man „periphere Blutstammzellen“.
3. Nabelschnurblut
Bei Fehlen eines geeigneten Spenders können auch Stammzellen aus Nabelschnurblut zum Einsatz kommen. Hierbei handelt es sich um Blutstammzellen die nach dem Abnabeln eines Neugeborenen in der Nachgeburt (Plazenta) verbleibt. Weltweit gibt es viele Einrichtungen, die Nabelschnurblute lagern und bei denen nach einem passenden Nabelschnurblut für einen Patienten gesucht werden kann.
Je nachdem, wie die Stammzellen von einem Spender gewonnen wurden, sprechen wir von einer Knochenmarktransplantation, einer peripheren Stammzelltransplantation oder einer Nabelschnurbluttransplantation.
Wie wird eine Stammzelltransplantation durchgeführt?
Eine Stammzelltransplantation wird in vier Phasen eingeteilt:
Phase 1
Zunächst muss für einen Patienten (Empfänger) ein passender Spender (Geschwisterspender, Fremdspender oder Nabelschnurblut) ausgesucht werden. Dabei ist es wichtig, dass bestimmte Merkmale auf den weißen Blutkörperchen von Spender und Patientenmöglichst übereinstimmen (Untersuchung der HLA-Merkmale). Je besser die Gewebemerkmale übereinstimmen, desto niedriger ist das Risiko einer Unverträglichkeits- oder Abstoßungsreaktion. Zur Austestung der Gewebemerkmale ist eine Blutabnahme beim Patienten und beim Spender erforderlich.
Gibt es leibliche Geschwister, wird zunächst untersucht, ob ein passender Geschwisterspender vorliegt. Ist dies nicht der Fall, bieten die weltweiten Datenbanken für Fremdspender oder Nabelschnurblute eine sehr gute Möglichkeit, einen passenden Spender für einen Patienten zu finden.
Sobald ein passender Spender für Sie gefunden wurde, kann mit den Vorbereitungen für die Stammzelltransplantation begonnen werden. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind und keine Einschränkung gegen eine Transplantation besteht, erhalten Sie von uns einen Aufnahmetermin.
Phase 2
Am Aufnahmetag werden Sie erneut ärztlich untersucht und erhalten vom Pflegeteam eine Einschulung in die notwendigen Hygienemaßnahmen. Vor Behandlungsbeginn wird ein dünner Schlauch (zentralvenöser Katheter) in eine große Vene unter dem Schlüsselbein oder am Hals gelegt, über welchen Medikamente gegeben oder Blut abgenommen werden kann.
Bevor Sie die Stammzellen erhalten, muss eine sogenannte Konditionierungs-Therapie durchgeführt werden. Darunter versteht man eine mehrtägige Chemotherapie, die eventuell auch mit einer Ganzkörperbestrahlung oder Gabe eines Antikörpers kombiniert wird. Falls Sie aufgrund einer bösartigen Erkrankung, z.B. Leukämie, transplantiert werden, hilft diese intensive Vorbehandlung, noch im Körper vorhandene Zellen der Erkrankung zu vernichten bzw. zu unterdrücken. Zugleich wird die Blutbildung der Patienten unterdrückt und damit Platz im Knochenmark für die neuen Stammzellen des Spenders geschaffen. Die Behandlung schwächt auch das Immunsystem des Patienten, damit der Körper die fremden Stammzellen auch annehmen kann.
Phase 3
Die Stammzellen eines Spenders oder das Nabelschnurblut befinden sich als Flüssigkeit in einem Beutel oder in mehreren Spritzen und werden über einen Venenzugang infundiert bzw. gespritzt. Die verabreichten Stammzellen finden über die Blutgefäße selbst den Weg ins Knochenmark bauen und nisten sich dort ein.
Da die Spenderstammzellen in Ihrem Knochenmark erst langsam eine ausreichende Blutbildung aufbauen und Ihre eigene Blutbildung durch die Vorbehandlung vorübergehend zum Erliegen kommt, benötigen Sie während der ersten Wochen nach Transplantation zahlreiche Medikamente und Bluttransfusionen da sie erst langsam eine ausreichende Blutbildung aufbauen müssen. Zusätzlich werden immunsuppressive Medikamente gegeben, die eine Abstoßungsreaktion verhindern sollen (siehe Phase 4). Regelmäßige klinische Visiten und Blutuntersuchungen sind notwendig, um Sie in dieser Phase optimal zu betreuen.
Bei komplikationslosem Verlauf können Sie die Station etwa 5 Wochen nach der Transplantation wieder verlassen. Voraussetzungen für eine Entlassung sind eine gute Erholung des Blutbildes, eine ausreichende Nahrungsaufnahme, eine Umstellung der notwendigen Medikamente auf Tablettenform sowie kein Hinweis auf eine Infektion oder Abstoßungsreaktion.
Phase 4
Die Therapie und Vorsorgemaßnahmen sind bei Entlassung nicht beendet. So sind regelmäßige ärztliche Kontrollen mit Blutuntersuchungen in unserer Ambulanz notwendig. Durch die Transplantation wird nicht nur das blutbildende System ersetzt, sondern man erhält auch ein neues (fremdes) Immunsystem. Die im Transplantat enthaltenen Immunzellen des Spenders erkennen Ihren Körper zunächst als fremd. Folge ist eine Abstoßungsreaktion (auch GvHD - graft versus host disease genannt).
Eine leichte Abstoßungsreaktion ist bei vielen Erkrankungen erwünscht, da sie das Risiko eines Rückfalls (z.B. einer Leukämie) reduziert. Eine zu starke Abstoßungsreaktion ist unerwünscht, da sie die Lebensqualität des Patienten stark beeinträchtigen kann und das Risiko von Komplikationen erhöht. Um eine Abstoßungsreaktion zu begrenzen, ist gerade in den ersten Monaten eine medikamentöse Therapie (Immunsuppression) erforderlich. Bei den meisten Patienten gewöhnt sich der Körper an das fremde Immunsystem, so dass diese Medikamente nach einigen Monaten reduziert und abgesetzt werden können.
Welche Nebenwirkungen oder Komplikationen können auftreten?
Es ist selbstverständlich, dass wir alle Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Nebenwirkungen und Komplikationen treffen. Wir werden versuchen, Nebenwirkungen durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden oder entsprechend zu behandeln. Dennoch sind lebensbedrohliche Nebenwirkungen und Komplikationen im Rahmen einer Stammzelltransplantation jederzeit möglich. Über die bei Ihnen möglichen Nebenwirkungen und Risiken werden Sie ausführlich im Rahmen des ärztlichen Aufklärungsgesprächs informiert.
Nebenwirkungen einer Transplantation können in drei Bereiche gegliedert werden:
1. Allgemeinsymptome
Nebenwirkungen der Konditionierungstherapie (Chemotherapie, Bestrahlung)
Während und nach der Konditionierungstherapie können Sie vermehrt unter Schwäche, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Fieber oder Übelkeit leiden.
Im Rahmen der Transplantation wird Ihre körpereigenen Blutbildung entfernt. Als Folge werden vorübergehend, das heißt bis zum Anwachsen der neuen Spenderzellen, keine eigenen Blutzellen mehr produziert. Ist in dieser Zeit die Zahl an roten Blutzellen zu gering, kommt es zu Abgeschlagenheit. Ein Mangel an Blutplättchen führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Diesen Komplikationen kann man in aller Regel durch Bluttransfusionen wirkungsvoll vorbeugen.
Aufgrund des vorübergehenden Fehlens der weißen Blutzellen sind Sie besonders anfällig für Infektionen. Die Transplantation wird daher auf einer speziellen Station in sogenannten Reinluftzimmern durchgeführt.
Die Konditionierungstherapie kann selten zu lebensbedrohlichen Schäden einzelner Organe wie Herz und Niere führen. Durch geeignete Vorsorgemaßnahmen tragen wir dafür Sorge, das Risiko so niedrig wie möglich zu halten.
Haare, Haut: Die Konditionierungstherapie führt meist zum vollständigen Haarausfall, In fast allen Fällen wachsen die Haare nach wenigen Monaten wieder vollständig nach. Einige Chemotherapeutika führen zu einer vorübergehenden dunklen Verfärbung der Haut.
2. Abstoßungsreaktion (Transplantat gegen Empfänger Reaktion, GvHD)
Nach einer allogenen Stammzelltransplantation kann es zu einer Abstoßungsreaktion (GvHD, graft versus host disease) kommen, bei der das transplantierte Immunsystem des Spenders die neue Umgebung in Ihrem Körper als fremd erkennt.
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer GvHD hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem dem Ausmaß der Übereinstimmung der Gewebemerkmale zwischen Spender und Ihnen (Empfänger). Um eine GvHD zu verhindern, werden bei der Transplantation vorbeugend immunsuppressive Medikamente verabreicht. Da sich im Laufe der Zeit das Transplantat (Stammzellen des Spenders) an die neue Umgebung „gewöhnt“, können diese Medikamente oft nach einigen Monaten wieder abgesetzt werden. Dennoch kann es trotz der Medikamente zu einer akuten oder chronischen GvHD kommen.
Eine akute GvHD tritt meist während der ersten 3-4 Monate nach Transplantation auf. Sie betrifft vor allem die Haut, die Leber und den Magen-Darm-Trakt.
An der Haut kann es zu Hautrötung und Ausschlag unterschiedlicher Stärke bis hin zur Blasenbildung kommen. Bei Leberbefall kommt es zu Gelbsucht.
Übelkeit, Erbrechen und wässrige Durchfälle treten bei Beteiligung des Magen-Darm-Traktes auf.
Die akute GvHD kann eine vorübergehende Behandlung mit zusätzlichen Medikamenten, die das Immunsystem des Spenders stärker unterdrücken, erforderlich machen (z.B. Kortison).
Im Vordergrund stehen vernarbende Veränderungen (Sklerosierung), unter anderem der Haut, der Gelenke, der Speiseröhre, des Darms und der Lunge, sowie trockene Schleimhäute und Augen. Die chronische GvHD kann zu einer leichten bis schweren, teils auch dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Bei manchen Patienten ist eine langfristige Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten notwendig. Eine Gefahr der akuten und chronischen GvHD stellt die erhöhte Infektanfälligkeit dar. Bei sehr starker Ausprägung und fehlendem Ansprechen auf eine Therapie können sowohl die akute als auch die chronische GvHD tödlich verlaufen.
Nur in seltenen Fällen kommt es zur Abstoßung des Transplantats. Auch ein anfangs angenommenes Transplantat kann nach einem längeren Zeitraum wieder abgestoßen werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Abstoßung der und Ihnen (Empfänger) des Transplantats steigt mit zunehmender Gewebeunverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger
3. Spätschäden
Die Behandlungen (Chemotherapie, Bestrahlung, immunsuppressive Medikamente,…), die im Verlauf einer allogenen Transplantation notwendigerweise eingesetzt werden, können zu Spätschäden führen. Diese betreffen unter anderem:
Psychologische Aspekte und geistige Leistungsfähigkeit: Infolge der Konditionierungstherapie, aber auch durch die psychische Belastung während und nach der Stammzelltransplantation, kann es zu verminderter Konzentrationsfähigkeit, aber auch zu ängstlicher oder depressiver Verstimmtheit kommen. In der ersten Zeit nach Transplantation treten bei einem Teil der Patienten ausgeprägte Schwäche und Antriebslosigkeit (Fatigue) auf, die sich langsam zurückbilden.
Während des Aufenthaltes am Ordensklinikum Linz stehen Ihnen sowohl die Angebote der Psychoonkologie und Krankenhausseelsorge, aber bei Bedarf auch medikamentöse Therapien durchgehend zur Verfügung.
Wichtig zur Vorbeugung und Besserung der Schwäche und Antriebslosigkeit ist während und nach der Transplantation eine körperliche Aktivität. Auch langfristig ist es wichtig, aktiv zu bleiben.
Skelettsystem (z.B. Osteoporose): Vor allem nach Bestrahlung und bei lang andauernder immunsuppressiver Therapie kann es zu Störungen des Knochenstoffwechsels (Osteoporose, aseptische Knochennekrose) kommen. Dabei besteht ein erhöhtes Risiko von Knochenbrüchen. Vorsorgeuntersuchungen und gezielte Therapie sind heutzutage möglich.
Sexualität und Fortpflanzungsfähigkeit: Während der Transplantationsphase und bei später eintretenden Komplikationen kann das sexuelle Verlangen (Libido) vermindert sein. Bei Männern kann die Konditionierungstherapie häufig zu andauernder Zeugungsunfähigkeit führen. Potenz und sexuelle Erlebnisfähigkeit bleiben aber meist erhalten. Bei Frauen kann die Periode über längere Zeit unregelmäßig werden oder ausbleiben. Die Wechseljahre können verfrüht einsetzen und es kann zu Unfruchtbarkeit kommen. In Folge von Chemotherapie, Bestrahlung und chronischer GvHD kommt es häufig zur Trockenheit der Scheide, die mit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verbunden sein kann, sowie verminderter sexueller Erlebnisfähigkeit. Für die verschiedenen Probleme gibt es heute gute Behandlungsmöglichkeiten. Unfruchtbarkeit ist häufig nach allogener Transplantation. Dennoch sollte während und wenigstens noch ein Jahr nach der Transplantation eine Schwangerschaft vermieden werden, da die Chemotherapie und die Bestrahlung sowohl die männlichen Samenzellen wie auch die Eizellen der Frau schädigen und somit ein erhöhtes Missbildungsrisiko besteht (teratogenes Risiko). Die Verhütungsmethode sollte daher sicher sein. Für spätere Schwangerschaften ist kein erhöhtes Missbildungsrisiko belegt.
Tumorerkrankung (Sekundäre Malignome): Eine weitere Nebenwirkung ist die mögliche Entstehung einer zweiten Tumorerkrankung, oftmals erst nach vielen Jahren. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür ist, hängt von verschiedenen Faktoren, u.a. von der Art der verwendeten Konditionierungstherapie, der Dauer der Immunsuppression, aber auch genetischen Eigenschaften des Empfängers, ab.