In Österreich steigt die Zahl an übergewichtigen und adipösen Menschen. Die chronische Erkrankung Adipositas gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, das metabolische Syndrom, Arteriosklerose sowie onkologische Erkrankungen.
Im World Adipositas Atlas 2023 wird prognostiziert, dass der Anteil der übergewichtigen (BMI > 25 kg/m²) und der adipösen (BMI ≥ 30 kg/m²) Menschen 2025 bei 42 % und 2035 bei 51 % liegen wird. Für Österreich wird berechnet, dass 2035 circa 40 % aller Männer und 28 % aller Frauen an Adipositas erkrankt sein werden. Ebenso erschreckend sind die Voraussagen für Jugendliche: 2035 könnten 20 % aller Jungen und 12 % aller Mädchen betroffen sein. OÄ Dr.in Regina Steringer-Mascherbauer, Abteilung für Innere Medizin II – Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, Ordensklinikum Linz Elisabethinen, verweist auf eine schottische Kohortenstudie1): „Wenn Kinder in eine adipöse Familie hineingeboren werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit um 75 % höher, selbst adipös zu werden und mit 40 bis 50 Jahren an kardiovaskulären Erkrankungen zu leiden. Aufklärung in der Schwangerenberatung ist hier wichtig. Außerdem müssen gesunde Ernährung und mehr Bewegung propagiert werden.“ Laut Studien korreliert der Bildungsstatus mit Adipositas. Je niedriger der Bildungsgrad ist, umso häufiger tritt Adipositas auf. Das Haushaltseinkommen spielt dabei keine Rolle.
Adipositas ist eine Erkrankung
„Adipositas ist eine Erkrankung und sollte als solche behandelt werden“, betont Prim. Priv.-Doz. Dr. Martin Martinek, MBA, FESC, FHRS, Leiter der Abteilung für Innere Medizin II – Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Ordensklinikum Linz Elisabethinen. „Hier sind vor allem Allgemeinmediziner*innen und Pädiater*innen gefragt, Maßnahmen zur Gewichtsreduktion zu setzen, etwa im Rahmen der Gesundenuntersuchung.“ OÄ Steringer-Mascherbauer ergänzt: „Bei adipösen Patient*innen ist eine höhere Awareness angezeigt. Auch wenn keine Beschwerden bestehen, sollte kontrolliert werden, ob bereits eine Arteriosklerose vorliegt. Beschwerden wie Atemnot oder thorakale Sensationen sollte genauer nachgegangen werden, denn sie können, müssen aber nicht in Zusammenhang mit der Adipositas stehen.“ Die Expertin bringt zwei Beispiele: Adipöse Patient*innen haben meist einen niedrigen proBNP-Wert, trotzdem können sie eine HFpEF (Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion) aufweisen. Und ein negatives Langzeit-EKG bedeutet nicht, dass der*die Patient*in kein paroxysmales Vorhofflimmern hat.
OÄ Dr.in Regina Steringer-Mascherbauer, Abteilung für Innere Medizin II – Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, Ordensklinikum Linz Elisabethinen
Gesundheitsrisiko Adipositas
Adipositas ist einer der Risikofaktoren für Herzerkrankungen wie Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt. OÄ Steringer-Mascherbauer meint: „Durch Gewichtsabnahme kann das epikardiale Fettgewebe verändert werden, dadurch verliert der Herzmuskel an Steifigkeit. Dies hat zur Folge, dass sich der Herzmuskel wieder besser füllen kann und sich Flüssigkeit nicht in die Lunge zurückstaut.“ Die Herzexpertin weist außerdem darauf hin, dass speziell bei adipösen Frauen das Risiko, Lungeninfarkte zu entwickeln, erhöht ist. Lungeninfarkte sind Vorläufer der chronisch thromboembolischen pulmonalen Hypertonie (CTEPH). „Bei CTEPH bieten wir, sollte eine chirurgische Sanierung nicht möglich sein, neben der medikamentösen Therapie auch eine Ballonangioplastie, d.h. Aufdehnung der Lungenarterien an, wodurch die Atemnot der Patient*innen abnimmt“, erläutert OÄ Steringer-Mascherbauer.
Prim. Priv.-Doz. Dr. Martin Martinek, MBA, FESC, FHRS, Leiter der Abteilung für Innere Medizin II – Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Ordensklinikum Linz Elisabethinen
Eine weitere Form der Drucksteigerung ist die pulmonalarterielle Hypertonie; diese wird oft lange nicht erkannt, weil die Dyspnoe mit dem Körpergewicht in Verbindung gebracht und Frauen folglich oft zur Gewichtsabnahme geraten wird. Medikamente, sogenannte Vasodilatatoren, verbessern die Lebensqualität und sichern ein längeres Überleben der Patient*innen mit pulmonalarterieller Hypertonie. In Zusammenhang mit Adipositas sollte auch eine pneumologische Abklärung erwogen werden: Übergewicht stellt einen Hauptrisikofaktor für ein obstruktives Schlafapnoesyndrom dar, das die Lebensqualität vermindert und ebenso ein Pro-Faktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist.
Adipositas beeinflusst Therapien
„In der Therapie von Herzrhythmusstörungen – gerade bei Vorhofflimmern – wissen wir, dass die Adipositas ein wesentlicher Faktor ist, ob eine Ablation ein gutes Outcome hat“, erläutert Prim. Martinek. Außerdem ist das Risiko, ein Rezidiv zu entwickeln, bei Adipositas viel höher. Prim. Martinek führt aus: „Derzeit haben wir für Ablationen längere Wartezeiten, diese Zeit nützen wir, um Patient*innen mit Adipositas zur Gewichtsabnahme zu motivieren. Sie brauchen zur Lebensstilmodifikation meist ein medizinisch geführtes Abnahmeprogramm, das Ernährungsberatung sowie physikalische oder Bewegungstherapie inkludiert. Wir beraten sie, welche Möglichkeiten zur Gewichtsabnahme es gibt, um die Herzerkrankung besser behandeln zu können. Aktiv werden müssen die Patient*innen dann selbst.“ Adipositas hat darüber hinaus einen Einfluss auf das anästhesiologische Vorgehen: Bei Menschen mit hohem Übergewicht können viele Eingriffe nur in Vollnarkose durchgeführt werden, die sonst nur einer Sedierung bedürften. „Der Aufwand und die Kosten sind höher, deshalb versuchen wir die Patient* innen bei Eingriffen wie Vorhofflimmerablation, Schrittmacher- oder Defibrillator-Implantationen in einen Gewichtsbereich zu bekommen, bei dem eine Sedierung möglich ist“, so Prim. Martinek.
Medikamentöse Unterstützung der Gewichtsabnahme
Ein vielversprechender Ansatz zur Gewichtsabnahme sind neue Pharmazeutika. Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid wird seit längerem in der Diabetestherapie verwendet und zeigt auch bei Adipositas einen positiven Effekt (allerdings besteht noch keine Kostenerstattung bei reiner Adipositas ohne Diabetes). OÄ Steringer-Mascherbauer berichtet über ihre positiven Erfahrungen: „Ich betreue eine Patientin mit einem BMI von 40,5 kg/m² und Diabetes mellitus. Mit dem Medikament hat sie in vier Monaten 30 kg abgenommen und sie hat auch ihren Lebensstil verändert. Essen nimmt keine zentrale Rolle mehr ein. Sie ist selbstbewusster und bewegt sich mehr, weil sie sieht, dass sie an Gewicht verliert.“ Eine Studie bestätigt: Adipöse Patient*innen, die über 52 Wochen Semaglutid plus Bewegung plus Kalorienreduktion bekommen haben, konnten 13 Prozent ihres Körpergewichts reduzieren, die andere Kohorte mit Kalorienreduktion plus Bewegung nur 1,3 Prozent. Das Medikament ist allerdings nicht frei von Nebenwirkungen, es kann Übelkeit, Durchfälle und eine Erhöhung der Pankreasenzyme verursachen.2)
1) Reynolds et al 2013
2) STEP- HFpEF Trial
Kontakt für Zuweiser*innen
Herz-Kreislauf-Ambulanz Tel.: 0732 7676 - 4900
www.ordensklinikum.at/kardiologie-elisabethinen