Der „Übergebrauch“ von Schmerzmittel kann Kopfschmerzen und Migräne verstärken und chronisch werden lassen. Nur durch einen Entzug kann man sich von dieser Art von Kopfschmerzen wieder befreien.
Wer häufig an starken Kopfschmerzen oder Migräne leidet, greift verständlicherweise zu Schmerztabletten. Tut man das zu häufig und über lange Zeit hinweg, dann wird daraus eine Gewohnheit und mit der Zeit benötigt man immer mehr Tabletten, um schmerzfrei zu sein. Irgendwann braucht man Schmerzmittel fast täglich, weil die Schmerzen chronisch geworden sind. Was vielen nicht klar ist: Ein Teil der Kopfschmerzen stammt in diesen Fällen von den Schmerzmitteln selbst. Denn bei Übergebrauch bildet sich ein eigener Kopfschmerz, der von der häufigen Einnahme dieser Präparate herrührt.
Risiko nur bei Übergebrauch
Die Medizin geht davon aus, dass Schmerzmittel nur bei einer gewissen Einnahmehäufigkeit Kopfschmerzen auslösen können. Bei Monopräparaten (diese enthalten nur einen einzigen Wirkstoff) liegt die Schwelle bei über 15 Einnahmetagen pro Monat, zudem muss die Einnahme über drei Monate hinweg andauern. Bei Kombinationspräparaten (mehrere Wirkstoffe sind enthalten) liegt die Grenze bei zehn Einnahmetagen pro Monat (über einen Zeitraum ab drei Monaten).
„Die Höhe der Tagesdosierung spielt dagegen keine Rolle, es kommt nur darauf an, an wieviel Tagen im Monat ein Präparat genommen wird“, sagt Prim. Univ. Prof. Dr. Christian Lampl, Stv. Ärztlicher Direktor, Neurologe und Kopfschmerzexperte am Ordensklinikum Linz, Barmherzige Schwestern. Gefährlich für die Schmerzentstehung sind bei Übergebrauch alle (!) Schmerz- und Migränemittel, die per Rezept, aber auch rezeptfrei gegen akute Schmerzen erhältlich sind. Einschränkung: Der schmerzmittelbedingte Kopfschmerz betrifft nur Patienten mit bereits bestehenden Kopfschmerzen und nicht etwa Patienten mit Rückenschmerzen oder anderen Schmerzformen.
Für und wider Schmerzmittel
Ob und wieviel Schmerzmittel man nehmen soll, ist immer Abwägungssache. Um mögliche Nebenwirkungen (welche vor allem Organe wie Magen, Darm und Nieren betreffen) zu minimieren, sollte man Schmerzmittel nur dann einnehmen, wenn sie wirklich nötig sind. Andererseits sollte man Schmerzen nicht unbehandelt lassen, damit diese nicht chronisch werden. Bei akuten Schmerzen hat man als Patient immer auch Eigenverantwortung und man sollte darauf achten, wieviel man einnimmt und nicht beim geringsten Schmerz zur Tablette greifen. „Wann der Patient bemerkt, dass die Schmerztage und die Einnahme von Schmerzmitteln mehr werden, sollte er einen Schmerzspezialisten aufsuchen“, rät Lampl.
Schmerzvermischung möglich
Ob nun konkret der ursprüngliche Kopfschmerz oder der Schmerzmittel bedingte Schmerz vorliegt, ist schwierig zu diagnostizieren. Der durch Schmerzmittel verursachte Kopfschmerz fühlt sich nicht wesentlich anders an als der ursprüngliche Kopfschmerz. Beides verschwimmt mit der Zeit und es wird immer schwieriger zu unterscheiden, was einem im Moment plagt. „Häufig entsteht ein Mischkopfschmerz, also eine Mischung aus ursprünglichem und durch die Tabletten erworbenem Kopfschmerz. Egal, welcher Schmerz im Vordergrund steht, wichtig ist es, von den Schmerztabletten wegzukommen und eine geeignete Therapie zu beginnen“, sagt Lampl.
Gehirn reagiert auf Übergebrauch
Bei Schmerzen durch Schmerzmittel handelt es sich um keine Nebenwirkung der Medikamente, sondern um eine Reaktion des Gehirns auf den Übergebrauch dieser Substanzen. „Nimmt man Schmerzmittel zu oft ein, gewöhnen sich die Gehirnzellen an die zugeführten Substanzen und die beteiligten Rezeptoren stumpfen quasi ab. Dadurch braucht man dann eine höhere Dosis, um die erwünschte Wirkung zu spüren, mit der Folge, dass der Patient immer öfter Tabletten einwirft und sich das Gehirn wiederum an die erhöhte Dosis gewöhnt. Ein Teufelskreis, der in chronischen Kopfschmerzen mündet und aus dem es nur einen Ausweg gibt, nämlich den Entzug“, sagt Primar Lampl.
Schmerzmittel-Entzug
Ein Entzug von Schmerzmittel sollte nicht unterschätzt werden, häufig treten Beschwerden wie heftiger Kopfschmerz, Magen-Darm-Probleme, Zittern und Schweißausbrüche auf. „Am besten macht man einen Entzug stationär im Krankenhaus, aber auch ambulant ist es möglich. Wer glaubt, dass der Entzug so nebenbei möglich ist, während man ganz normal weiter im Beruf arbeitet, der irrt sich, das steht kaum einer durch. In solchen Fällen ist ein Rückfall vorprogrammiert. Die Rückfallquote liegt daher bei 40 bis 60 Prozent. Man sollte den Entzug also unter Anleitung machen“, rät der Schmerzmediziner.
Ein Entzug befreit den Patienten von den Tabletten-Kopfschmerzen, jedoch nicht von den ursprünglichen Kopfschmerzen. Ist der Entzug geschafft, sollte man nun sparsam mit Schmermitteln umgehen. Lampl: „Man muss zwar nicht völlig auf diese Mittel verzichten, aber man sollte unbedingt unter der empfohlenen Einnahmehäufigkeit bleiben; ich würde empfehlen, dann maximal an sechs bis acht Tagen im Monat akute Schmerzmittel zu nehmen.“
Therapie der ursprünglichen Schmerzen
Zusätzlich zum Entzug sollte man die ursprünglichen Kopfschmerzen je nach Schmerztyp behandeln lassen. „Bei Migräne hilft oft ein Mittel gegen Epilepsie am besten, bei Spannungskopfschmerz wieder kann etwas ganz anderes helfen. Man sollte also zum Spezialisten gehen und sich beraten lassen. Ziel ist es, weniger Kopfschmerztage zu erleiden und weniger Schmerzmittel für den Akutfall zu benötigen“, sagt der Schmerzexperte.
Patienten mit Kopfschmerzen leiden häufig zusätzlich an anderen Erkrankungen, vor allem an Depressionen, Angststörungen und Schlafstörungen. Lampl: „Als Arzt muss man diese Patienten daher immer auch fragen, ob eine Depression etc. vorliegt, denn es macht wenig Sinn, nur die Schmerzen und nicht auch die Depression zu behandeln.“
Frauen häufiger betroffen
Frauen leiden häufiger als Männer an Kopfschmerzen und Migräne. „Lag früher das Zahlenverhältnis von betroffenen Frauen und Männern bei 3 zu 1, so lautet es heute 2,5 zu 1,5. Es sind demnach heute auch viele Männer betroffen. Es wird geschätzt, dass rund 80.000 Österreicherinnen und Österreicher von schmerzmittelbedingten Kopfschmerzen betroffen sind“, sagt Lampl.
Vorbeugung wichtig
Um sich einen Entzug zu ersparen, sollte man es erst gar nicht soweit kommen lassen, dass man von akuten Schmerzmitteln abhängig wird und einen Schmerzmittel-Kopfschmerz entwickelt. Wenn man wegen Kopfschmerzen fallweise zu Schmerzmitteln greift, sollte man die Einnahmegewohnheiten beobachten und in einem Kopfschmerz-Tagebuch festhalten. Das führt dazu, dass man erkennen kann, wie oft man zu den Tabletten greift. Ist das häufig der Fall, sollte man frühzeitig einen Arzt, am besten einen Schmerzmediziner oder Neurologen aufsuchen, um wirkungsvolle Therapien gegen den ursprünglichen Kopfschmerz in die Wege zu leiten.
Oft lässt sich auch durch einen geeigneten Lebensstil etwas gegen die Kopfschmerzen unternehmen. Es gibt aber kein Patentrezept, man muss individuell erforschen, wie sich die Situation verbessern lässt. Dies kann gelingen, indem man sich den Schlaf gönnt, den man braucht, Stress und Belastungen reduziert, mehr Sport betreibt und generell mehr Freude und Entspannung in seinen Alltag bringt.
Text: OÖN