Onkologische Patienten, die im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern in Behandlung sind, können ergänzend zur Schulmedizin Leistungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in Anspruch nehmen. Angeboten wird diese Behandlungsform von Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu, einem TCM-Spezialisten aus der Süd-Chinesischen Provinz Yunnan. Im Weekend Magazin gab der TCM-Pionier ein Interview über die Wissenschaft, die immer mehr Akzeptanz genießt. (Text: Gerhard Gall)
WEEKEND: Wie lässt sich die Funktionsweise der Traditionellen Chinesischen Medizin im Grundzug erklären?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird der Mensch als eine Gesamtheit in sich betrachtet, die eng mit der Natur und deren Einflüssen verbunden ist. Sie umfasst mehrere Disziplinen wie Akupunktur, Kräutertherapie, Tuina, Moxibustion und Taiq und kann analog zur westlichen Schulmedizin in verschiedene Fachrichtungen unterteilt werden.
WEEKEND: Wofür eignet sich TCM besonders, was macht sie erfolgreich?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Sie eignet sich besonders für funktionelle Störungen, komplexe und chronische Erkrankungen sowie Tumorbehandlungen, da sie versucht, die Krankheit an der Wurzel zu packen und die primären Ursachen der Erkrankung zu behandeln, statt nur symptomfokussiert Beschwerden zu lindern. Besonders gute Erfolge werden beispielsweise bei Kopfschmerzen, Rheuma oder auch Kreuzbeschwerden erzielt.
WEEKEND: Welches Klima herrscht unter Medizinern im Hinblick auf die Traditionelle Chinesische Medizin. Kennt die Schulmedizin noch Vorurteile?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Generell ist das Klima gegenüber der Traditionellen Chinesischen Medizin unter Ärzten mittlerweile eher offen geworden. Unter anderem schicken mir viele Schulmediziner Patienten. Entweder zu einer gemeinsamen oder auch zu einer ergänzenden Behandlung. Kritiker kommen sehr oft mit dem Argument, dass über die Wirksamkeit der Traditionellen Chinesischen Medizin kaum oder nur mangelhaftes Studienmaterial vorliegt.
WEEKEND: Kann man derartige Vorwürfe einfach so stehen lassen?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Keinesfalls. In China – vielfach aber auch in den USA – gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten über die TCM von durchaus namhaften Instituten oder auch erfolgreichen Krebsforschern. Sehr viele Arbeiten umfassen dabei den Themenbereich Akupunktur. Chinesische Medizin geht sehr stark auf Signale ein, die der Körper eines Erkrankten sendet.
WEEKEND: Wie funktioniert die Erkennung?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Chinesische Medizin ist – wie eingangs bereits angeschnitten – eine ganzheitliche Medizin mit natürlichen Methoden und ohne Nebenwirkungen. Die Zunge, das Auge – es gibt viele Punkte, an denen man über Vorgänge im Körper „lesen“ kann. Wenn ein inneres Organ ein Problem hat, zeigt sich das zumeist auch nach außen hin.
WEEKEND: Eignet sich TCM zur Gesundheitsvorsorge?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Die Traditionelle Chinesische Medizin dient natürlich nicht nur der Behandlung von Krankheiten, sondern auch der Prävention. Sie stärkt den Körperzustand, das Immunsystem und beugt dadurch Krankheiten vor. Akupunktur und Kräuter stärken das Immunsystem, verbessern den körperlichen Allgemeinzustand und das Wohlbefinden.
WEEKEND: Kräutertherapien – was bringen sie im täglichen Leben?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Die regelmäßige Einnahme chinesischer Kräuter bewirkt eine Verbesserung der Lebensqualität. Ein großer Teil der chinesischen Medizin beruht auf Kräutertherapien. Es werden 13.000 verschiedene Kräuter eingesetzt. Viele stimulieren das Immunsystem, bekämpfen Müdigkeit und Stress oder verbessern körperliche und mentale Funktionen. Sehr wichtig in der Kräutertherapie ist, dass Vorbeugungsmaßnahmen regelmäßig durchgeführt werden. Kräuterrezepte bringen die Vorteile eines jeden Krautes zur Anwendung. Damit die Behandlungsergebnisse optimal ausfallen, müssen verschiedene Kräuter kombiniert werden.
WEEKEND: Jedes Rezept wird je nach Alter, Geschlecht oder Körperzustand individuell an den Patienten angepasst. Stress, Ängste und depressive Stimmungen nehmen bei vielen Menschen stark zu, wie kann man seelischen Überbelastungen vorbeugen?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Eine Möglichkeit ist Qigong. Man kombiniert regulierte Atmung, langsame Bewegung und fokussierte Konzentration. Qigong bekämpft Müdigkeit, reguliert Emotionen und Körperfunktionen, steigert die Arbeitseffizienz, stärkt die Merkfähigkeit und reduziert Stress. Über lange Zeit andauernde, gefühlsmäßige Belastungen wie Stress, Angst oder Depressionen überfordern die Flexibilität und die Widerstandskraft des Körpers. Dadurch können Krebserkrankungen ausgelöst werden. Die Schwäche des vitalen Qi – darunter versteht man die Widerstandskraft und Selbstheilungsfähigkeit des Körpers – die innere Basis, die Krebs verursacht. Das vitale Qi eines Menschen betrifft ja sehr häufig die Psyche.
WEEKEND: Womit wir bei ihrem Schwerpunkt, der Onkologie wären. Wie setzen Sie die TCM in diesem Bereich ein?
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu: Es gibt viele chinesische Kräuter, die eine krebshemmende Eigenschaft besitzen. Chinesische Studien konnten eine stärkere Wirkung von Chemotherapie und Bestrahlung in Kombination mit Traditioneller Chinesischer Medizin nachweisen. Häufig auftretende Nebenwirkungen von Chemotherapien und Bestrahlungen lassen sich reduzieren beziehungsweise sogar ganz stoppen. Symptome wie Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, körperliche Schwäche oder Schmerzen werden mit TCM erfolgreich behandelt und es kann auch das Risiko, dass ein Krebs neuerlich auftritt oder auch die Ausbreitung von Metastasen reduziert werden.
Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu (55) graduierte 1987 als bester Student der Shanghai Universität für Traditionelle Chinesische Medizin. Diese Universität gilt als Chinas Top 1-Uni für TCM. Mit seinen jungen 28 Jahren erwarb er seine Habilitation und wurde zum Universitätsprofessor ernannt. Univ.-Prof. Dr. Zuzhi Niu hat Forschungsartikel publiziert, mehrere Lehrbücher verfasst und weltweit zahlreiche TCM-Spezialisten ausgebildet. Viele seiner Schüler leiten mittlerweile als Primarärzte TCM-Abteilungen. Seine beruflichen Wege führten ihn u. a. in die Emirate und nach Deutschland.
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