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Ordensklinikum Linz

Chronischer Juckreiz (Pruritus)

Datum: 21.05.2019

Wir spüren eine Fliege, einen Stich, ein Staubkorn. Das Signal geht durch die sogenannten freien Nervenendigungen in der Oberhaut über sensible Fasern ins Rückenmark und ins Gehirn. Dort löst es eine Reaktion aus. Das Jucken ist eine Empfindung, die uns irritiert. Wir wollen sie loswerden und kratzen uns. Aber nicht nur Offensichtliches wie Insektenstiche oder Hautkrankheiten, sondern auch Leukämie und jedes Organleiden, etwa eine Lebererkrankung, können die Ursache sein. Was jedoch hinter einem chronischen Juckreiz steckt, ist oft nicht einfach herauszufinden.

17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden darunter, zeigt eine Befragung der Universitätsklinik Münster. Ab einem Alter von circa 75 Jahren sind es gar 23 Prozent. Denn mit fortgeschrittenem Alter trocknet die Haut aus. „Vielen älteren Menschen bröselt förmlich die obere Hautschicht weg“, schildert der Dermatologe Norbert Sepp vom Ordensklinikum Linz. Das Einschmieren mit einer einfachen Salbe fördere hingegen nicht nur eine frische, gesunde Haut, sondern wirke vorbeugend gegen potenziellen Juckreiz. Er werde ähnlich wie Schmerz mit dem Gedächtnis verknüpft, erklärt der Arzt, der das Thema Juckreiz leidenschaftlich verteidigt: „Schmerzpatienten haben eine Lobby. Juckreizpatienten nicht.“

Den chronischen Pruritus – so der medizinische Fachausdruck – kann man nicht loswerden, denn wir speichern die Signale im eigenen Juckreizgedächtnis ab und reagieren immer sensibler, wie zum Beispiel bei der Volkskrankheit Neurodermitis. Das Jucken begleitet viele Krankheiten. Eisenmangel, Blutplättchen-Überschuss, bakterielle Infektionen, sogar auf Depressionen kann Juckreiz hindeuten.

Norbert Sepp meint dazu: „Die Psyche wirkt immer verstärkend, ist aber selten der alleinige Grund.“ Umgekehrt verändert das Jucken nicht nur die Haut, sondern auch den Menschen selbst. Wenn man nicht schlafen kann und sich kratzen muss, belastet das auf Dauer sehr. Und nicht selten wird das Kratzen als psychogen abgetan.

Jucken als Hinweis auf Tumor

„Spricht ein Patient davon, dass es ihn seit drei Monaten plötzlich jucke vom Hals bis zu den Zehen, ohne erkennbare Ursache, kann das auf einen Tumor hinweisen“, sagt Sepp. Er erzählt von einer Verwandten, die an einer autoimmunen Leberzirrhose und dadurch an hepatogenem, also von der Leber kommendem Juckreiz litt: „Kaum war die neue Leber eingesetzt, war auch der Juckreiz verschwunden.“

Frau, die sich am Unterarm kratzt

Bei einer schwangeren Frau mit Juckreiz bestimmt der Dermatologe sofort die Gallensäure. Denn das Jucken könnte Symptom eines erhöhten Gallensäurewertes sein – für das Kind eine gefährliche Sache. Es gibt zudem sehr viele Juckreiz auslösende Medikamente. Der Dermatologe rät, die Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen, und nennt ein Beispiel: Ein Patient mit Kniebeschwerden bekommt vom Orthopäden eine Cortisonspritze gegen die Schmerzen. Der Wirkstoff erhöht den Blutzuckerspiegel, wodurch es zu einer Nervenschädigung kommt. Diese zeigt sich durch Jucken am ganzen Körper. 

Der Reiz, sich zu kratzen, ist übrigens willentlich nicht beeinflussbar. Es ist ein unstillbarer Drang. Den Appell „Bitte nicht kratzen“ kann man getrost vergessen.

Text: Juliane Fischer | „Die Presse“ – Wissen & Innovation, 18. Mai 2019


Prim. Univ.-Prof. Dr. Norbert Sepp
„Die Psyche wirkt immer verstärkend, ist aber selten der alleinige Grund.“
Prim. Univ.-Prof. Dr. Norbert Sepp