Re-Bestrahlung im Fokus
Wie Patienten mit einem (inoperablen) Rezidiv geholfen werden kann.
Lange Zeit galt das Dogma „Eine Strahlentherapie soll nicht wiederholt werden“. Dieser generelle Ausschluss von Patienten mit einem Rezidiv von einer Re-Bestrahlung ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten. Neue und präzisere Techniken und Geräte sowie Erkenntnisse aus in-vitro-, in-vivo- und klinischen Studien haben es ermöglicht, Tumoren gezielt wieder zu bestrahlen und dabei die Toleranz des umliegenden Gewebes nicht zu überschreiten. „Bei der Re-Bestrahlung müssen einige Rahmenbedingungen beachtet werden“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Hans Geinitz, Vorstand der Abteilung für Radioonkologie und Strahlentherapie am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern: Welche Dosis wurde bei der ersten Bestrahlungsserie verabreicht? Wo sind diese Bestrahlungsdosen angekommen? Wie wird rebestrahlt? Welche Fraktionierung kommt zur Anwendung und welche Gesamtdosis ist noch verträglich? Welches Intervall besteht zwischen der Erst- und Zweitbestrahlung? Welche Möglichkeiten bietet eine zweite sowie dritte Behandlungsserie und welche Nebenwirkungen sind damit verbunden? Welche Zeitspanne sollte zwischen zweiter und dritter Behandlungsserien liegen? Diese und noch viele andere Fragen des klinischen Alltags wurden anlässlich der Onlinefortbildung „Re-Bestrahlung im Fokus“ von 27.-28. Mai 2021 diskutiert. 250 Ärzte aus der Klinik und dem niedergelassenen Bereich aus Österreich, Deutschland, Schweiz, Italien und Norwegen nahmen daran teil. Tagungspräsident Prim. Geinitz fasst im Interview mit dem Zuweiserbeziehungsmanagement des Ordensklinikum Linz die Highlights der Tagung zusammen.
Wenige Studiendaten, individuelles Vorgehen
Die Re-Bestrahlung wird allgemein (noch) relativ selten durchgeführt, am Ordensklinikum Linz werden etwa 7% der Patienten lokal rebestrahlt. Entsprechend dünn ist die Studienlage. „Hinzu kommt, dass sich individuelle Patientensituationen, unterschiedliche Patientenkollektive und maligne Grunderkrankungen sowie verschiedene Bestrahlungssituationen und Vorbestrahlungen schwer in randomisierte kontrollierte Studien fassen lassen”, erklärt Prim. Geinitz. Mehr prospektive Studien, Fallstudien sowie Multicenterstudien könnten die Studienlage verbessern, ist der Strahlentherapeut überzeugt. In der prospektiven ReCare-Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) etwa, werden Daten zu unterschiedlichen Tumorentitäten gesammelt.
Da nur wenige Studiendaten vorhanden sind, gibt es auch keine allgemeingültigen Kriterien, die eine Re-Bestrahlung erfüllen muss. „Es gibt aber Anhaltspunkte, die auch bei der Onlinefortbildung diskutiert wurden. Zwischen den Bestrahlungsserien hat sich eine Pause von mindestens sechs Monaten etabliert, um hinsichtlich der Strahlenbelastung auf der sicheren Seite zu sein. Je nachdem wie stark die Symptome ausgeprägt sind, welche alternativen Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen und ob ein kuratives oder palliatives Setting vorliegt, kann auch eine frühere Bestrahlung erforderlich sein”, schildert Prim. Geinitz. Ein limitierender Faktor für die Re-Bestrahlung ist die Toleranz des nicht tumortragenden Gewebes. Insbesondere Risikoorgane, die besonders sensibel auf eine Strahlentherapie reagieren, gilt es zu schützen und stärkere Nebenwirkungen zu vermeiden. Prim. Geinitz empfiehlt: „Man muss sich iterativ herantasten und eine Risikoeinschätzung durchführen”.
Dass Ärzte in derselben Situation unterschiedlich behandeln würden, zeigte sich deutlich im Zuge des interaktiven Teils der Tagung. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurden das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei einem Patienten live diskutiert. Die Veranstaltungsteilnehmer hinter den Computerbildschirmen wurden mit zahlreichen Mentimeter-Umfragen eingebunden. Waren sich alle Ärzte bei der Re-Bestrahlung noch hinsichtlich der Strahlenart, der anzuwendenden Dosis und dem Bestrahlungsintervall zum Großteil einig, so divergierten die Meinungen bei der Re-Re-Bestrahlung. Letztere wurde entsprechend auch als medizinische Grauzone bezeichnet. Bezüglich der Re-Re-Re-Bestrahlung bei diesem Patienten herrschte wieder weitgehend Konsens.
Die Höhepunkte der Tagung zum Nachlesen:
Re-Bestrahlung der Prostata
Im Rahmen der Tagung wurden drei große Serien zur Re-Bestrahlung der Prostata präsentiert, u. a. von Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Gregor Goldner, Universitätsklinik für Strahlentherapie, MedUni Wien. Das ist deshalb spannend, weil dieses Organ bislang selten rebestrahlt wurde. Prim. Geinitz fasst die Neuigkeiten zusammen: „Auch nach einer hochdosierten Strahlentherapie kann eine Re-Bestrahlung des Prostatakarzinoms durchgeführt werden, mit einem vertretbaren Nebenwirkungsrisiko. Eine Salvage-Operation, die ein erhebliches Nebenwirkungsrisiko birgt, ist somit nicht mehr die einzige Behandlungsoption mit kurativem Ansatz in dieser Situation.“
Re-Bestrahlung der Brust
OÄ Dr.in Christine Track, Abteilung für Radioonkologie und Strahlentherapie, Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern, präsentierte Daten zur Re-Bestrahlung im Rahmen einer Teilbrustbestrahlung im adjuvanten Setting. „Standard ist hier nicht die brusterhaltende Operation, sondern die Amputation der Brust. Als Alternative kann Patientinnen eine erneute Brusterhaltung mit einer anschließenden Teilbrust-Re-Bestrahlung angeboten werden”, schildert Prim. Geinitz. OÄ Dr.in Daniela Kauer-Dorner, Leiterin der Brustambulanz, MedUni Wien, berichtete über eine große Studie, die zeigte, dass die Brachytherapie eine gute Methode für die Re-Bestrahlung im Brustbereich ist.
Re-Bestrahlung von Kopf-Halstumoren
Über das Thema Kopf-Halstumoren referierte OA Dr. Johann Feichtinger, Stv. Vorstand der Abteilung für Radioonkologie und Strahlentherapie, Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern. Hier kristallisiert sich heraus, dass eine Re-Bestrahlung mit neuen Bestrahlungstechniken deutlich weniger Toxizität aufweist, als dies früher in den alten Bestrahlungsserien der Fall war. Insbesondere schwere Komplikation sind weniger geworden. „Wir haben nun auch die Möglichkeit, verschiedene Schemata anzuwenden. Bisher ging man davon aus, dass im Kopf-Hals-Bereich eher kleine, normal fraktionierte oder sogar hyperfraktionierte Einzeldosen sinnvoll sind. Nun zeigen Studiendaten, dass in der Re-Bestrahlung auch die hypofraktionierte gezielte Strahlentherapie (stereotaktische Strahlentherapie) eine Rolle spielen kann – das gilt übrigens auch für andere Tumorentitäten”, führt Prim. Geinitz aus.
Neue Wege in Bezug auf die Fraktionierung beschreitet die Quad-Shot-Studie mit 2 x 3,7 Gy an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (Wiederholung alle 3-4 Wochen). Dieses Schema, das hinsichtlich der Anzahl der Wiederholung je nach Verträglichkeit variiert werden kann, ist eine Option für palliative Patienten mit schlechtem Allgemeinzustand oder jene mit vielen Begleiterkrankungen.
Re-Bestrahlung im ZNS-Bereich
Auf der Tagung wurde insbesondere die Toleranzdosis des Myelons diskutiert, vor allem, da Metastasen der Wirbelsäule häufig rebestrahlt werden. Den Vortrag hielt der Mitorganisator der Tagung und wissenschaftlicher Pionier der Re-Bestrahlung Univ.-Prof. Dr. Carsten Nieder, Universitaet Tromsø – er war live aus Norwegen zugeschalten. „Das Myelon verträgt hohe Dosen von über 70 Gy. Zur Erholungszeit liegen relativ viele Daten vor. Das Nervengewebe erholt sich sehr gut. Zumindest nach einem Jahr – mitunter auch nach sechs Monaten – sind wahrscheinlich bereits 50% der Gesamtdosis ‚abgebaut‘. Die Kenntnis der Vorbelastung ist wichtig, um eine weitere Bestrahlung durchführen zu können”, so Prim. Geinitz.
Komplementärmedizin und Re-Bestrahlung
OÄ Mag.a Dr.in Elisabeth Bräutigam, Ärztliche Direktorin, Abteilung für Radioonkologie und Strahlentherapie, Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern und Univ.-Prof. Dr. Oliver Micke, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Franziskus Hospital Bielefeld, klärten über die Komplementärmedizin im Zusammenspiel mit einer Re-Bestrahlung auf. Nutzen und Risiken von komplementärmedizinischen Behandlungen müssen – ebenso wie andere Medikamente − streng bewertet und kontrolliert werden. „Die Evidenz in diesem Bereich ist nicht so hoch wie bei konventionellen Therapien, jedoch besteht seitens der Patienten – insbesondere auch von jenen in einer Re-Bestrahlungssituation – eine hohe Nachfrage. Daher müssen komplementärmedizinische Maßnahmen gut gelenkt und von den Radioonkologen mitaufgegriffen werden, um potenziellen Schaden in Kombination mit der Strahlentherapie abzuwenden”, macht Prim. Geinitz aufmerksam.
Weitere Tagungshighlights
Mehrere Vorträge beschäftigten sich mit neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. In der Bildgebung hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Um Tumoren im Knochenweichteilgebiet und im Gehirn zu detektieren, ist eine MRT angezeigt, in der Lunge wiederum eine CT bzw. eine FDG-PET-CT, um die Gesamtausbreitung zu erfassen, und in der Prostata eine PSMA-PET-CT. In Zukunft könnte der Einsatz von Radiomics, sprich die Analyse von quantitativen Bildsignaturen, eine Rolle spielen.
Razvan Galalae, MD, PhD von MedAustron in Wr. Neustadt, stellte die Bestrahlung mit Kohlenstoffionen vor, die in einigen selektionierten Fällen hilfreich sein kann. Ebenfalls besprochen wurden die Einsatzgebiete der intraoperativen Strahlentherapie (IORT). „Sie ist eine hervorragende Methode, u. a. wenn die Mamma erneut brusterhaltend operiert wird, sowie bei Rezidiven im Beckenbereich (Rektum, gynäkologische Tumoren). Mit der IORT können gezielte Dosen in den Risikobereich abgegeben werden“, erklärt Prim. Geinitz.
Ein Anliegen einiger Tagungsteilnehmer war es, mehr über die Kombination von Strahlentherapie und Hyperthermie zu erfahren. Oberflächliche Tumoren sprechen durch die Überwärmung des Gewebes auf 42 °C sehr gut auf die Strahlentherapie an, so etwa Mammakarzinom-Rezidive an der Brustwand, insbesondere wenn die Brust bereits amputiert und bestrahlt wurde. Am Ordensklinikum Linz wird diese Methode seit Ende 2020 angeboten.
Aktuell laufen einige Studien zu Interaktionen von Medikamenten – insbesondere von Immuntherapeutika − mit der Strahlentherapie. „Immuntherapien sind allesamt nicht explizit für die Kombination parallel zur Strahlentherapie zugelassen, weder in der primären noch in der sekundären Situation. Ein differentielles Ansprechen auf diese Medikamente macht jedoch oft eine zusätzliche Strahlenbehandlung notwendig. Welche Kombinationen vermieden werden sollen bzw. welche sinnvoll sind und ob Immuntherapeutika vor einer Bestrahlung abgesetzt werden sollen oder nicht, werden einige der bereits initiierten Studien sowie der klinische Alltag zeigen”, fasst Prim. Geinitz zusammen.